Sprachliche Subjektbildung und Leute, die Unrecht haben

Ein Kommentar zu zwei Stellen aus „Theorie des Subjekts“ von Peter V. Zima

Peter V. Zima: Theorie des Subjekts. Tübingen 2017.

In Theorie des Subjekts erörtert Zima eine große Menge verschiedener Subjektkonzeptionen. Unter anderem wirft er den Blick darauf, wie in den Sprachwissenschaften Subjekte konstituiert werden. Auf zwei direkt aufeinanderfolgenden Seiten erörtert er einerseits einen Standpunkt, der aus meiner Perspektive sehr oberflächlich erscheint, und anderseits (zu einem anderen Thema) einen Standpunkt, der mein Sprechen und meine Entscheidungen für Interessen sehr gut beschreibt.

Elfenbeinturm? Ich sehe hier keinen Elfenbeinturm.

Zunächst der oberflächliche Standpunkt: Basil Bernstein unterscheidet „einen restricted code der Unterschicht von einem elaborated code der Oberschicht oder Mittelklasse“(Zima, 71). In Ersterem steht nur ein spärlicher Wortschatz und nur rudimentäre Syntax zur Verfügung. Sprecher*innen dieses Codes könnten ihre

„Ansichten und Anliegen nicht annähernd so nuanciert artikulieren wie die Sprecher des elaborated code. Sie sind eher in der Lage, der ideologischen, werbetechnischen und medialen Vereinnahmung in einer Dialektik von Kritik und Selbstkritik zu widerstehen und eine autonome Subjektivität zu verteidigen. [...] So ist es zu erklären, daß vor allem Angehörige der Unterschicht für autoritäre, manichäisch strukturierte Ideologien wie Nationalismus, Nationalsozialismus, Faschismus und Marxismus-Leninismus anfällig sind.“(71)

Ich störe mich sehr an dieser Perspektive. Einerseits wird hier nach unten getreten; ein Mensch vermutlich aus der akademischen Mittelklasse spricht Menschen aus einer niedrigeren Klasse die Ausdrucksfähigkeit und damit Feinheiten des Subjektseins ab – und übersieht dabei auch noch, dass Leute, denen es schlecht geht, eher Sachen ändern wollen (hence the Neigung zu Ideologien).

Andererseits dürfte das, was Bernstein behauptet, auf zwei Ebenen falsch sein: Die Soziolekte von wirtschaftlich benachteiligten Klassen sind höchstwahrscheinlich ebenso komplex wie andere. Sie sind nur weniger hoch angesehen und dadurch auch weniger gut erforscht. (Sprecht mit den Linguist*innen Eures Vertrauens, wenn Ihr mit Quellen zugespamt werden wollt.) Und auch der Nationalsozialismus war keineswegs eine Sache der Unterschicht. Humanismus? Der Vater von Heinrich Himmler war Lehrer für Latein und Altgriechisch. Genauso wenig lässt sich der aktuelle Rechtsradikalismus als Randgruppenphänomen abtun. Menschenfeindliche Haltungen sind Teil der Mitte der Gesellschaft.

Not that kind of girl

Direkt auf der nächsten Seite erörtert Zima die Position von Mary M. Talbott. Sie beschreibt eine Situation, in der sich zwei Personen über eine genaue Farbbezeichnung unterhalten: Den Unterschied zwischen lavendel und malvenfarbig. Ein hinzugekommener Dritter, ein Mann, bewertet diese Unterscheidung als trivial und nicht der Rede wert. Die Zuordnung ist klischeehaft, aber den meisten wohlbekannt: Farbwörter=Frauen, keine Farbwörter=Männer.

An dieser Stelle wird es genügend Frauen geben, die erklären wollen, wie sehr sie keine Ahnung von Farben haben; und genügend Männer, die erklären werden, wie genau sie den Unterschied zwischen lavendel und malvenfarbig kennen. Der Punkt ist, dass die Fähigkeit zwischen diesen beiden Farben zu unterscheiden, und vor allem die Einschätzung dieses Unterschieds als „der Rede wert“, deutlich gegendert ist:

„Nun mag es auch Frauen geben, die für derlei Nuancen keine Zeit haben, aber Talbots Text zeigt, wie sehr Relevanzkriterien und Klassifikationen gruppenspezifisch sind und wie sich Subjektivität innerhalb von sprachlichen Gruppen bildet. Sie läßt zugleich erkennen, wie weibliche Subjektivität in einer von männlichen Soziolekten dominierten Situation trivialisiert und marginalisiert werden kann.“(72)

Und hier kommt mein Interesse ins Spiel: Ich gehöre zu der Gruppe, die betonen wird, keine Ahnung vom Unterschied dieser beiden Farben zu haben. Ich bin der hinzugekommene Dritte, der über diese Unterscheidung lacht und sie abwertet. Ich gliedere mich an dieser Stelle eindeutig in den dominanten Diskurs ein; damit versuche ich meine eigene soziale Stellung zu heben – auf Kosten der Frauen, der in diesem Moment marginalisierten Gruppe. Damit schneide ich mir ins eigene Fleisch. Ich habe Teil an der Abwertung; am Patriarchat. Denn jedes affirmierende Wiederaufrufen dieser Unterscheidung (Kennt Farbwörter: interessiert sich für Triviales, tendenziell weiblich; kennt keine Farbwörter: interessiert sich nur für Wichtiges, tendenziell maskulin) stärkt diese Wertung.